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Michael Lorsbach: Ein gemeinsamer Forschungsdatenraum in Deutschland – Vision oder bald Realität?

Der freie Zugang zu Gesundheitsdaten stellt eine wesentliche Grundlage für wissenschaftlichen Fortschritt und digitale Geschäftsmodelle dar. In der klinischen Forschung beschleunigen Daten Zulassungsprozesse neuer Therapien oder unterstützen die Behandlung von Patienten. Wo liegen Chancen und Herausforderungen eines deutschen Forschungsdatenraums? Ein Gastbeitrag von Michael Lorsbach.

 

Über Michael Lorsbach

Michael Lorsbach ist Gründer und Gesellschafter der Alcedis GmbH. Seit der Gründung des Unternehmens 1992 hat er sich auf die Digitalisierung der klinischen Forschung und die Versorgsungforschung spezialisiert. Zuletzt wirkte Michael Lorsbach bei der strategischen Konzeptentwicklung für den Ausbau des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) im Rahmen der Dekade gegen Krebs mit. Zudem berät er bei der Implementierung von IT- Projekten. Seit 2013 ist er Mitglied im DIHK-Ausschuss für Gesundheitswirtschaft.

 

In den vergangenen Jahren sind die Datenmengen im Gesundheitssektor exponentiell gewachsen. Die Menge aller weltweit gespeicherten Gesundheitsdaten wird für das Jahr 2025 auf mehr als zehn Zettabytes geschätzt. Im Vergleich zu 2020 entspricht dies einer Vervierfachung.

Dabei hat sich die Menge der digital verfügbaren Daten in mehrere Dimensionen ausgedehnt. So werden Daten aus dem Versorgungsalltag zunehmend in größerer Breite und Tiefe erfasst. Treiber sind unter anderem der technologische Fortschritt bei medizintechnischen Geräten.

 

Smartwatches und Fitnessarmbänder erleichtern Datenerhebung

Hinzu kommt eine Vielzahl von Geräten und Apps, die von Patientinnen und Patienten selbst gesteuert werden können. Dazu zählen Wearables, wie etwa Smartwatches oder Fitnessarmbänder. Sie erheben und bereiten medizinische Daten auf, wie Blutdruck- oder Herzfrequenzwerte. Weiterhin können Patientinnen und Patienten über Smartphones mit dem Therapeuten interagieren, zum Beispiel bei der Beantwortung von Fragen zur Lebensqualität oder dem Auftreten von Nebenwirkungen während der Therapie.

 

Deutschlands Bevölkerung wird älter, klinische Studien digitaler: Was brauchen Senioren, um ihre medizinischen Daten mithilfe von Apps oder Wearables weiterzugeben? Lesen Sie mehr in unserem Überblick.

 

Potenziale von Real World Daten und Big Data in der Erhebung

Bis heute basiert der medizinische Fortschritt fast ausschließlich auf Daten, die im Rahmen kontrollierter klinischer Studien erhoben und ausgewertet wurden. Dazu wird auf Grundlage der Behandlungsdaten ein neuer Datensatz erstellt. Neue methodische Ansätze erlauben die Kombination von Daten aus dem Alltag der Versorgung – den Real World Daten - mit Daten aus klinischen Studien.

So ist es beispielsweise möglich, aus Real World Daten virtuelle Vergleichsarme zu generieren und eine Vergleichbarkeit für eine Prüfmedikation zu schaffen. Dies geschieht etwa, wenn Arzneien gegen seltene Erkrankungen erforscht werden und es nicht genug Patientinnen und Patienten für klinischen Studien unter Laborbedingungen gibt. Weiterhin können Versorgungsdaten aus dem Alltag genutzt werden, um den Erfolg eines Präparates nach der erfolgten Zulassung zu überwachen.

Über die klinische Forschung hinaus sind die Nutzungsmöglichkeiten von Real World Daten nahezu grenzenlos. Dazu zählen die Gewinnung neuer Erkenntnisse aus der Versorgungsrealität oder der Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz in Diagnostik oder Analyse von Erkrankungs- und Behandlungsverläufen. Diese zeigen neue Ansätze für die Erforschung und Entwicklung künftiger Behandlungen auf oder unterstützen den Behandler bei der Therapieentscheidung.

 

Die Digitalisierung verändert Studienabläufe. Wie wird sich die Forschungslandschaft in den nächsten Jahren entwickeln und vor welchen Herausforderungen stehen Wissenschaft und Unternehmen? Lesen Sie hier den Ausblick von drei Experten.

 

Herausforderungen eines deutschen Forschungsdatenraums

Im Hinblick auf einen gemeinsamen Datenraum für die Forschung in Deutschland lassen sich folgende Punkte nennen:

  • Mangelnde Interoperabilität und schleppender Aufbau der digitalen Infrastruktur: Daten aus verschiedenen Versorgungseinrichtungen können nicht ohne weiteres verknüpft werden. Die Einführung der elektronischen Patientenakte, auf der alle relevanten Informationen zu Patientinnen und Patienten gebündelt werden sollen, läuft in Deutschland mit mehrjähriger Verspätung an und bleibt weiterhin umstritten.

  • Organisatorische Barrieren und Datenschutz: Die Regelungskompetenzen sind im deutschen Gesundheitswesen auf verschiedenen Ebenen organisiert und auf unterschiedliche Institutionen verteilt. Dieser Aufbau hat sicherlich Vorteile, weil Regelungen dort getroffen werden, wo Expertise vorhanden ist. Doch bei der Organisation eines gemeinsamen Datenraums, sind die fragmentierten Zuständigkeiten ein Hemmnis. Mit Blick auf den Datenschutz wirken die von Bundesland zu Bundesland abweichenden Regularien einschränkend.

  • Skepsis in der Bevölkerung: Umfragen zeigen, dass die Deutschen zögern, sensible medizinische Daten der Forschung zur Verfügung zu stellen. Mit einer Datenspende für die medizinische Forschung ist nur knapp die Hälfte der Menschen einverstanden.

Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind in den vergangenen Jahren immer mehr in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft angekommen. Lesen Sie hier, welche Chancen die Technologie bietet.

 

Poltische Initiativen und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz

Der Nutzen eines gemeinsamen Datenraums für den Forschungsstandort Deutschland wurde von der amtierenden Koalition erkannt und im Koalitionsvertrag festgeschrieben:

„Das ungenutzte Potential, das in zahlreichen Forschungsdaten liegt, wollen wir effektiver für innovative Ideen nutzen. Den Zugang zu Forschungsdaten für öffentliche und private Forschung wollen wir mit einem Forschungsdatengesetz umfassend verbessern. (…) Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur wollen wir weiterentwickeln und einen Europäischen Forschungsdatenraum vorantreiben. Datenteilung von vollständig anonymisierten und nicht personenbezogenen Daten für Forschung im öffentlichen Interesse wollen wir ermöglichen.“

Wichtig ist daher, dass das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz zügig umgesetzt und die privatwirtschaftliche Forschung berücksichtigt wird. Der neue Rechtsrahmen sollte die Abgabe und Nutzung von Gesundheitsdaten über die gesamte Versorgungskette eindeutig und bundesweit einheitlich regeln. Der geplante europäische Gesundheitsdatenraum ist dabei mit zu berücksichtigen.

Auf diesen Sachverhalt weist das DIHK-Positionspapier zur Digitalisierung (Synergien nutzen – Digitalisierung voranbringen – Gesundheit stärken) hin. Als Mitglied im DIHK-Gesundheitsausschuss hat der Autor dieses Blog-Beitrags an dem Positionspapier mitgewirkt. Dieses wurde in den Medien positiv aufgenommen, zum Beispiel im Ärzteblatt vom 27. April 2022.

Die politischen Initiativen weisen in die richtige Richtung. Nun muss sich zeigen, ob die Akteure im Gesundheitswesen bereit sind für ein kooperatives Arbeiten in einem variablen Forschungs-Ökosystem. Der Mehrwert für alle liegt auf der Hand. Die technologischen Herausforderungen können gemeistert werden.

 

Erfahren Sie unter Alcedis Mobile mehr über die Möglichkeiten von Apps und Wearables für Patienten in klinischen Studien.

 

Text: Michael Lorsbach