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HANSE-Studie: "Ein Projekt dieser Größenordnung gab es bislang nicht"

90 Prozent aller Lungenkrebs-Patienten sind Raucher oder haben geraucht. Mithilfe eines Lungenkarzinomscreenings können Erkrankungen der Lunge frühzeitig erkannt werden. Die HANSE-Studie bot ab Juli 2021 einen kostenlosen Lungen-Check an. Wie dieser abläuft, erklärte uns Radiologe und Studienleiter Jens Vogel-Claussen Anfang 2021 in einem Interview.

 

Ab Juli pendelte ein mobiler Studientruck zwischen Hannover, Lübeck und Großhansdorf bei Hannover. Im Rahmen der HANSE-Studie hatten Raucher und ehemalige Raucher die Möglichkeit, an einer kostenlosen Lungenkrebs-Früherkennung teilzunehmen. Prof. Dr. med. Jens Vogel-Claussen, Radiologe und Prüfarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover, leitet die Studie.

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(Photo: Stefan Knaak Photography)

 

Prof. Vogel-Claussen, ab Juli bietet die HANSE-Studie im norddeutschen Raum einen kostenlosen Lungencheck an. Warum ist die Früherkennung von Lungenerkrankungen wie etwa Lungenkrebs so wichtig?

Lungenkrebs gehört weltweit zu den häufigsten bösartigen Erkrankungen. In Deutschland treten pro Jahr über 50.000 Fälle auf. Die Überlebenschance von Betroffenen ist fünf Jahre nach Feststellung der Krankheit nur etwa 15 bis 20 Prozent - oft weil die Krebsart sehr spät entdeckt wird.

An wen richtet sich die Studie?

Raucher und Menschen, die geraucht haben, machen 90 Prozent der Lungenkrebs-Patienten aus. Zudem taucht die Krebsart oft bei älteren Menschen auf. Daher richtet sich die Studie an ehemalige Raucher und Nichtraucher zwischen 55 und 79 Jahren. In einer ersten Anamnese erheben wir, wie lange und wie viel sie rauchen oder wann sie damit aufgehört haben. Zudem berechnen wir nach einem Modell die Wahrscheinlichkeit der Probanden, in den nächsten sechs Jahren an Lungenkrebs zu erkranken. Wer einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, wird zum Lungenkarzinom-Screening eingeladen.

Und was passiert mit den Menschen, die diesen Schwellenwert nicht überschreiten?

Auch mit den Probanden in der Niedrigrisikogruppe, die nicht zum Screening eingeladen werden, bleiben wir in Kontakt. Fünf Jahren später fragen wir deren Gesundheitszustand ab und, ob sie eine Krebsdiagnose erhalten haben. Lungenkrebs entwickelt sich sehr langsam, im Rahmen unserer Studie möchten wir auch überprüfen, ob wir zu selektiv agieren und am Ende Krebserkrankungen in der Altersgruppe verpassen.

Im Rahmen der Studie wird mittels Computertomographie die Lungenfunktion der Teilnehmerinnen und Teilnehmer untersucht. Wo liegen die Vorteile des CT-Scans im Gegensatz zu anderen diagnostischen Verfahren?

Während beim Röntgen nur ein eindimensionales Bild entsteht, handelt es sich beim Niedrigdosis-CT um ein dreidimensionales Verfahren, das hunderte Bilder liefert, die wir übereinanderlegen können. Dadurch entdeckt man beim Lungenscreening mit einem CT-Scan den Krebs bereits im ersten Stadium, wenn er deutlich weniger als drei Zentimeter misst. Je früher der Krebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen für Erkrankten. In anderen Ländern, in denen das Verfahren bereits etabliert ist, konnte damit die Lungenkrebs-Mortalität gesenkt werden. Dieses Ergebnis zeigt: Das Lungenkarzinom-Screening funktioniert.

 

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(Photo: Stefan Knaak Photography)

 

In der HANSE-Studie werden nicht nur Lungen-, sondern auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Blick genommen. Warum?

Studien zeigen, dass es große Überschneidungen zwischen der Entwicklung von Lungenkrebs und koronarer Herzkrankheit bei Rauchern gibt. Bei fast 50 Prozent dieser Probanden wurde Koronarkalk gemessen, sie leiden also unter Atherosklerose. Die Folgen können im schlimmsten Fall ein Herzinfarkt oder Schlaganfall sein. Aus diesem Grund erheben wir bei dem CT-Scan auch den Calciumwert in den Koronargefäßen, das sind die Arterien, welche den Herzmuskel mit Blut versorgen. Bei einem positiven Befund empfehlen wir eine Herzvorsorgegespräch beim behandelnden Hausarzt oder Kardiologen. Ob der Proband unserer Empfehlung gefolgt ist, fragen wir zudem nach einem Jahr ab.

Die Auswertung der Daten des CT-Scans erfolgt mithilfe Künstlicher Intelligenz. Wie geht die KI vor?

Wir arbeiten bei der Auswertung der Daten mit modernster Software, die nach dem CT-Screening zwischen 500 und 600 hochauflösende Bilder miteinander vergleicht. In der Lunge eines Menschen befinden sich viele Knötchen, die gutartig sind. Die KI-Software erkennt die Lunge, segmentiert diese und die Lungenknötchen in den Lungenlappen. Die Software bewertet die Volumetrie und die Größe der Knötchen und berechnet, ob es sich eher um gutartige oder bösartige Knötchen handelt. Anschließend schaut sich der Radiologe die Ergebnisse an, parallel überprüft er zudem, ob der Computer ein Knötchen vergessen hat. Viele dieser Knötchen könnten wir mit dem bloßen Auge nur schwer erkennen, so spart der Radiologe viel Zeit. Zudem erhebt die KI neben Knötchen und Calcium-Score auch den Emphysem-Wert des Studienteilnehmers. Dieser zeigt an, wie weit das Lungengewebe zerstört ist.

Mit manchen Studienteilnehmern werden alle Werte besprochen, anderen erhalten nur Teil-Ergebnisse. Was erhoffen Sie sich davon?

Uns interessiert auch, wie die Menschen auf ihre Werte und die verschiedenen Informationen reagieren. Welchen Effekt hat die Mitteilung des Calcium-Werts auf ihre Herzvorsorge? Wer nimmt nach dem CT-Scan an einem Rauchfrei-Programm teil? Vorherige Studien zeigten, dass nur 15 Prozent aller Teilnehmer im Rahmen eines Lungenkarzinomscreening-Programms mit dem Rauchen aufhörten. In der Hanse Studie wollen wir sehen, ob die Rauchfrei-Rate durch die Information über den Grad der Lungengewebszerstörung im CT Befund des Teilnehmers verbessert werden kann.

Die HANSE-Studie gilt als Pilotprojekt: Die Teilnehmer werden an drei Standorten untersucht. Wie gelingt das?

Mit unserer Studie wollen wir innerhalb eines Jahres die Daten von 5000 Probanden an drei Standorten, Hannover, Großhansdorf und Lübeck, erheben. Dafür brauchen wir ein qualitativ hochwertiges und interdisziplinäres Screening. Das gelingt uns mit dem Truck, der das Herz unserer Infrastruktur ist. Die gesamte Technik der Studie befindet sich in diesem Truck, der alle zwei Wochen zwischen den Standorten rotiert. Damit stellen wir sicher, dass alle Studienteilnehmer mit der gleichen CT-Technologie untersucht werden. Wir verwenden ein hochmodernes CT, dessen Strahlung sehr niedrig ist und nur zwischen ein Fünftel und ein Zehntel der jährlichen Belastung ausmacht. In dieser Zeit testen wir den Nutzen des Lungenkarzinom-Screenings in einem real-world-Setting.

Welche logistischen und technischen Herausforderungen müssen Sie für das Projekt meistern?

Es handelt sich um die erste Studie in Deutschland, die einen Truck für ein Lungenkarzinomscreening einsetzt. Ein Projekt dieser Größenordnung und mit diesem Workflow gab es bislang nicht. Die Herausforderungen liegen zum einen in der Vorbereitung der Studie: Der Technik des Trucks, der digitalen Infrastruktur mit ihren vielen Schnittstellen, der Ansprache der Probanden und dem Training der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Radiologen, Pneumologen und Studynurses, die das Screening vor Ort durchführen und interdisziplinär zusammenarbeiten. Zum anderen braucht es für die Verarbeitung der Daten das passende Equipment: Alle Werte laufen in eine gemeinsame Cloud, sodass wir auf die pseudonymisierten Daten zugreifen und diese interdisziplinär auswerten können. Das macht unser Projekt in Summe sehr innovativ.

Wo liegt die größte Chance des Projekts?

Mit der Studie zeigen wir die diagnostischen Möglichkeiten des Lungen-Screenings auf. Lungenkarzinome können mittels CT wesentlich früher erkannt und behandelt werden. Diese Untersuchung ist nicht nur effizient, sondern aufgrund der geringen Strahlenbelastung sehr schonend für Patientinnen und Patienten. Wenn ein CT-Screening der Lunge wie andere diagnostische Verfahren als Leistung in die medizinische Vorsorge aufgenommen würde, diagnostizieren wir mehr Lungenkrebse in einem sehr frühen Stadium und reduzieren die damit verbundene Sterblichkeitsrate. Zudem können wir aus den Ergebnissen der CT-Scans weitere Schritte für die Herzdiagnostik und Vorsorge entwickeln. Zudem zeigt das Projekt, wie wichtig die passende Infrastruktur bei digitalen Studien ist: Es zählen sichere Clouds und eine IT, die eine neben Datenschutz auch eine optimale Datenverarbeitung gewährleistet. CROs wie Alcedis, die diese Infrastruktur stellen, müssen ihre Aufgaben perfekt erfüllen und werden in Zukunft immer wichtiger werden. Ihr Wissen und ihre Planung ist der Schlüssel für künftige Studien, um diese effizient und sicher zu gestalten.

 

Text: Alcedis-Redaktion